Letztlich kam die Initiative für den Antrag, der schließlich zur Eröffnung der Czernowitzer Universität 1875 führen sollte, weder aus Wien noch ausschließlich von den deutschsprachigen Bukowinern. Das von Constantin Tomaszczuk, dem ersten Rektor der Universität, vorgelegte Dokument war ein kollektives Vorgehen des Landtages, unterstützt vom Landespräsidenten Eudoxius Hurmuzaki und sinnbildlich für das breite Spektrum der Bukowiner Kulturlandschaft: deutsch-, rumänisch- und ruthenischnationale Politiker waren gleichermaßen an der Lobbyarbeit beteiligt (Turczynski: Politische Kultur, S. 8). Tomaszczuk betonte, die deutsche Wissenschaft habe einen Anspruch auf Universalität, daher strebten auch nicht-deutsche Bukowiner nach einer deutschen (Aus)Bildung. Er erkannte die günstigen Ausgangsbedingungen, die die Bukowina für dieses ehrgeizige Projekt bot: hier würden Staat, Kirche und Nationalitäten harmonisch an der Modernisierung des Kronlandes arbeiteten und darüber hinaus habe die Bukowina ein effizientes und angesehenes Priesterseminar und ein gut ausgestattetes theologisches Institut, beide vom vermögenden griechisch-orientalische Religionsfonds finanziert. Der lokale Adel und die intellektuelle Oberschicht versicherten, dass die beachtliche Landesbibliothek gut gepflegt und der Bestand stets aktualisiert werde (Turczynski: Bildungsbürgertum, S. 213-215). Vor Ort löste die Idee in weiten Kreisen Begeisterung aus. Als die Entscheidung auf höchster Ebene getroffen worden war, teilte der Landeschef der kaiserlichen Verwaltung mit, dass zahlreiche lokale Organisationen, wie etwa das erzbischöfliche Konsistorium, der jüdische Kultusvorstand oder der ruthenische Verein „Rada Ruska“ [Ruthenischer Rat] ihn ausdrücklich darum gebeten hatten, dem Kaiser Franz Joseph I. ihren Dank zu übermitteln (Alesani: Landespräsidium).

In der kaiserlichen Stiftungsurkunde der Czernowitzer k. u. k. Franz-Josephs-Universität hob der Kaiser hervor, dass die Gründung Höhepunkt der von Joseph II. ein Jahrhundert zuvor begonnenen Bildungsreformen sei. Die Universität sollte neben den Abteilungen für Recht und Philosophie auch aus einer orthodoxen theologischen Fakultät bestehen. Die erforderlichen Mittel wurden vom Staat zur Verfügung gestellt (Kaiser Franz-Joseph I., Stiftbrief). Auf Drängen rumänisch- und ruthenischnationaler Abgeordneter wurden der Universität auch Lehrstühle für rumänische und ruthenische Philologie zuerkannt (Turczynski: Bildungsbürgertum, S. 214).

Trotz der akkuraten Vorarbeiten und des ausgewogenen Lehrplans kam es auf der Eröffnungsfeier jedoch zu einer Reihe von Reden, die eine deutsche kulturelle Überlegenheit vermittelten. Der Rektor der Innsbrucker Universität Karl Theodor Inama-Sternegg äußerte die Hoffnung‚ dass „du [die Universität – Anm. J. v. D.] stets treu bleibst dem Geiste, der dich gegründet: dem deutschen Geiste. Denn in ihm liegt die Pflege der echten Geistesfreiheit und die Pflege der wahren Liebe zu unserem Vaterlande“ (Friedwagner: Mommsen). Antisemitische Kreise in Wien sahen in der Errichtung einer deutschen Universität und den begleitenden Feierlichkeiten der deutschen Kultur eine Farce. In diesem fernen Ecke des Reiches, behaupteten sie, seien die meisten Anhänger dieser Kultur in Wirklichkeit Juden (Hausleitner, S. 40 und „Die Czernowitzer Feste“. In: Das Vaterland, 5. Oktober 1875, S. 3).

Dennoch blieben derartige Dissonanzen meistens im Hintergrund. Dreißig Jahre später erinnerte sich die Wiener und Czernowitzer Presse nostalgisch, wie „mit einem Mal das bis dahin literarisch noch wenig gewürdigte Buchenland im äußersten Osten der Monarchie ein Gegenstand allgemeinen Interesses, nicht bloß in Österreich, sondern in allen deutschen Landen geworden war“ (Zitate aus dem Neuen Wiener Tagblatt, 3. März 1906, In: Heiteres und Ernstes aus der Bukowina (Czernowitzer Angelegenheiten). In: Czernowitzer Allgemeine Zeitung, 6. März 1906, S. 4)

Das Semester an der neu gegründeten Einrichtung begann mit einer überschaubaren Anzahl von 188 Studenten (Franz-Josephs-Universität: Statistische Übersicht), und auch während der ersten Dekade ihres Bestehens lag die Studentenzahl nie über 280. Es war ihr in diesem Zeitraum nicht gelungen, die von ihren geistigen Vätern erweckten hohen Erwartungen zu erfüllen. Erst 1909 waren an der Franz-Josephs-Universität mehr als tausend Studenten immatrikuliert (Lechner, S. 6). Tutoren und Professoren mussten aus anderen Kronländern angeworben werden und kamen hauptsächlich aus Wien, Innsbruck und Graz (Turczynski: Neuzeit, S. 156). Das Angebot und die Kombination von Disziplinen stellten hier – im Osten des Habsburgerreiches – ein Novum dar: die erfolgreich ausgehandelten Lehrstühle für rumänische und ruthenische Linguistik mit ihren gut sortierten Sammlungen aktueller Publikationen verlieh der Romanistik und der slawischen Philologie sowie der Geschichtsschreibung Ost-und Südosteuropas neuen Schwung. Prominente Wissenschaftler wie die Ökonomen Joseph A. Schumpeter und Friedrich Kleinwächter begannen ihre Karrieren in Czernowitz. Viele Czernowitzer Gelehrte waren anderen Universitäten als korrespondierende Mitglieder verbunden (Turczynski: Bildungsbürgertum, S. 217f.). Die theologische Abteilung – mit ihren Wurzeln im theologischen Institut der Bukowiner Metropolie – zog Studenten aus dem ganzen Habsburgerreich, aber auch aus Rumänien, Serbien und Griechenland an (Turczynski: Neuzeit, S. 102).

Text: Jeroen van Drunen

Quellen:

  • Hieronymus Alesani: Brief an das Landespräsidium. Aktenrummer 748, 19. Dezember 1874. In: Deržavnyj Arhiv Černivec`koї Oblasti [Staatsarchiv des Czernowitzer Gebietes, i. F. DAČO], Fond [Findbuch] 3, Opys [Aktenregister] 1, Sprava [Aktenmappe] 3966
  • Jeroen van Drunen: Deutsche Kultur und geistiges Proletariat: Zur Ambivalenz der Czernowitzer Franz-Josephs-Universität (1875–1918). In: Markus Winkler (Hg.): Partizipation und Exklusion: Zur Habsburger Prägung von Sprache und Bildung in der Bukowina. 1848 – 1918 – 1940. Regensburg 2015, S. 41-53
  • Franz-Josephs-Universität (Hg.): Statistische Uebersicht der im Winter-Semester 1875/76 an der Franz-Josephs-Universität zu Czernowitz inscribirten Hörer. Czernowitz 1875. In: DAČO, Fond 3, Opys 1, Sprava 4070
  • Kaiser Franz-Joseph I.: Kaiserlicher Stiftbrief. Wien, September 1875. In: Arhivele Naţionale ale României [Rumänisches Nationalarchiv, im Folgenden ANR] (Bukarest), Fond ‘Guvernământul Bucovinei’ [Landesregierung der Bukowina], Ministerul Culturii și Învățămîntului [Ministerium für Kultus und Unterricht, im Folgenden MCȊ], LXXXV/1.
  • Matthias Friedwagner: Mommsen und die Czernowitzer Universität. In: Bukowinaer Rundschau, 10. Dezember 1903, S.1-2
  • Mariana Hausleitner: Eine wechselvolle Geschichte. Die Bukowina und die Stadt Czernowitz vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. In: Helmut Braun (Hg.): Czernowitz. Die Geschichte einer untergangenen Kulturmetropole. Berlin 2006
  • Elmar Lechner: Die ehemalige k.k.Franz-Josefs-Universität zu Czernowitz. Eine Chronologie und eine Bibliographie. Klagenfurt 2001
  • Emanuel Turczynski: Die politische Kultur der Bukowina. Harmonie ethnischer Kleingruppen. Stuttgart 1979 (Kaindl-Archiv, 2)
  • Emanuel Turczynski: Geschichte der Bukowina in der Neuzeit. Zur Sozial- und Kulturgeschichte einer mitteleuropäisch geprägten Landschaft. Wiesbaden 1993
  • Emanuel Turczynski: Czernowitz, eine vom Bildungsbürgertum errungene Universität im Dienst staatlicher Bildungs- und Wissenschaftsförderung. In: Peter Wörster (Hg.): Universitäten im östlichen Mitteleuropa. Zwischen Kirche, Staat und Nation – Sozialgeschichtliche und politische Entwicklungen. München 2008
  • Orte

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    Universität Czernowitz (Gründungsgebäude 1875)

    Universität Czernowitz (Gründungsgebäude 1875)
    Universytets'ka St, 28. Foto: Markus Winkler (2017)