Bis August 1916 verhandelte die rumänische Regierung über die Habsburger Gebiete, die sie als Kompensation für den Kriegseintritt erwerben wollte (Turczynski, S. 214). Da Russland die Bukowina bereits okkupiert hatte und als ihr Gebiet beanspruchte, verfasste Ion Nistor Schriften, in denen er deren großen slawischen Bevölkerungsanteil in Abrede stellte (Raportul numeric între Români şi Ruteni pe vremea ocupării, 1914 [Das Zahlenverhältnis zwischen Rumänen und Ruthenen zur Zeit der Okkupation]; Românii şi rutenii. Studiu istoric şi statistic, 1915 [Rumänen und Ruthenen. Historische und statistische Studie]).

Als sich Anfang November 1918 das österreichische Heer aufzulösen begann, stellte sich die Frage der Zugehörigkeit der Bukowiner Gebiete sehr konkret. Eine militärische Einheit des Ukrainischen Nationalrats (Rada) aus Lemberg/Lviv nahm Czernowitz am 6. November 1918 ein. Ihr Führer verhandelte mit dem rumänischen Abgeordneten des Reichsrats Aurel von Onciul über die Zweiteilung der Bukowina. Daraufhin appellierten einige nicht gewählte Rumänen zusammen mit Iancu von Flondor (1865-1924) an die Regierung Rumäniens um Unterstützung gegen angebliche bolschewistische Banden. Die Armee Rumäniens marschierte am 11. November 1918 in Czernowitz ein und internierte Aurel von Onciul. Die militärische Einheit der Rada zog sich kampflos vor der Übermacht zurück. Nun übernahm Flondor die Führung der Rumänen, während Nistor sich noch im fernen Bukarest befand. Dennoch gelang es ihm, Flondor im Jahr 1919 auszubooten (Bălan: Bodnărescu, S. 3-44; Hausleitner, S. 93-101).

Flondor organisierte eine Versammlung mit einigen ausgewählten Rumänen am 15./28. November 1918 (es galten noch zwei verschiedene Kalender), die den bedingungslosen Anschluss an das Königreich Rumänen proklamierte. An dieser angeblichen „Konstituante“ nahmen keine Abgeordneten der Ukrainer und Juden teil. Die Deutschen machten ihre Teilnahme von einigen Bedingungen abhängig, wie etwa die Beibehaltung der deutschsprachigen Universität (Osatschuk, S. 39). Zu dieser Versammlung war Nistor aus Bukarest gemeinsam mit etwa 100 Bukowiner Freiwilligen aus der Armee Rumäniens angereist (Bogzan, S. 346). Viele von ihnen gelangten in die neuen Leitungspositionen. Nistor gehörte der Delegation an, die im Dezember 1918 König Ferdinand I. das Anschlussersuchen überbrachte (Căpreanu, S. 315f.). Bei der Pariser Friedenskonferenz erhoben Vertreter der Ukrainer Anfang 1919 Anspruch auf den Norden der Bukowina, wo mehrheitlich Ukrainer lebten. Gegen sie wandte sich Nistor vehement. In der Bukowina verhaftete die Militärverwaltung diejenigen Ukrainer, die zu demonstrativen Aktionen aufriefen. Im Juni 1919 wurde Rumänien die gesamte Bukowina zugesprochen. Nistor kritisierte jedoch den von den Großmächten initiierten Minderheiten-Schutzvertrag, durch den die Gleichberechtigung der 30% Nichtrumänen in Großrumänien abgesichert werden sollte (Dobrinescu, S. 57).

Als Vertreter der Bukowina im Kronrat nahm Nistor daraufhin Einfluss, welche Vereine verboten und wie Zeitungen zensiert wurden (Winkler: Jüdische Identitäten, S. 117f.). Auf diese Weise konnte er die Position von Flondor untergraben, der zu Kompromissen mit den Vertretern der Nichtrumänen bereit war, die 60% der Bukowiner Bevölkerung stellten. Im April 1919 trat Flondor aus der Übergangsregierung aus, nachdem er im Glasul Bucovinei [Stimme der Bukowina], der Zeitung der Anhänger Nistors, heftig angegriffen worden war. Flondor gründete ein eigenes Blatt Bucovina, in dem kritisiert wurde, dass die rumänische Armee mittels Kriegsrecht die Tätigkeit aller politischen Vereine mit Ausnahme der Partei von Nistor behindere. Die Zensur unterband bald Kritik an Nistors Politik (Winkler: Bucovina, S. 93). Wegen der Übergriffe enthielten sich bei den ersten gesamtrumänischen Wahlen im November 1919 die Partei von Flondor, der Deutsche Nationalrat und die damals starke Sozialdemokratie der Teilnahme (Glass, S. 76). So erlangte die „Demokratische Partei der Einheit“ von Nistor eine Stimmenmehrheit in der Bukowina. Im Januar 1923 fusionierte diese Partei mit den seit 1922 regierenden Nationalliberalen.

Text: Mariana Hausleitner

Quellen:

  • Teodor Bălan: Bucovina şi războiul mondial [Die Bukowina und der Weltkrieg]. Cernăuţi 1929
  • Teodor Bălan: Rolul lui Vasile Bodnărescu în preajma Unirii [Die Rolle von Vasile Bodnărescu im Umfeld der Vereinigung]. Cernăuţi 1938
  • Ovidiu Bogzan: Ion I. Nistor. Preliminarii monografice (2) [Ion I. Nistor. Monographische Präliminarien]. In: Revista istorică 5 (1994), H. 3–4, S. 345-357
  • Ioan Căpreanu: Mişcarea culturală a românilor din Bucovina pentru unitate naţională şi statală (1848–1918) [Die kulturelle Bewegung der Rumänen in der Bukowina für nationale und staatliche Einheit (1848–1918)]. Iaşi 1999
  • V. Fl. Dobrinescu: România şi sistemul tratatelor de pace de la Paris (1919–1923) [Rumänien und das System der Friedensverträge von Paris (1919–1923)]. Iaşi 1993
  • Hildrun Glass: Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien. München 1996
  • Marianna Hausleitner: Die Rumänisierung der Bukowina. Die Durchsetzung des nationalstaatlichen Anspruchs Großrumäniens. München 2001
  • Marianna Hausleitner: Historiker der Universität Czernowitz als Wissenschaftler und Politiker: Raimund Friedrich Kaindl und Ion Nistor. In: Markus Winkler (Hg.): Partizipation und Exklusion. Zur Habsburger Prägung von Sprache und Bildung in der Bukowina. 1848 – 1918 – 1940, S. 55-76
  • Stelian Neagoe: Istoria Unirii Românilor [Geschichte der Vereinigung der Rumänen]. Bucureşti 1993
  • Ion Nistor: Der nationale Kampf in der Bukowina, mit besonderer Berücksichtigung der Rumänen und Ruthenen. Bucureşti 1918
  • Sergij Osatschuk: Die soziale Dynamik und die politischen Orientierungen der Bukowina-Deutschen. In: Popovici, Dahmen, Kramer: Gelebte Multikulturalität, S. 39-53
  • Victoria Popovici, Wolfgang Dahmen, Johannes Kramer (Hgg.): Gelebte Multikulturalität. Czernowitz und die Bukowina. Frankfurt/M. 2010, S. 67-86
  • Emanuel Turczynski: Geschichte der Bukowina in der Neuzeit. Zur Sozial- und Kulturgeschichte einer mitteleuropäisch geprägten Landschaft. Wiesbaden 1993
  • Markus Winkler: Jüdische Identitäten im kommunikativen Raum. Presse, Sprache und Theater in Czernowitz bis 1923. Bremen 2007
  • Markus Winkler: Legea presei şi cenzura în Monarhia habsburgică şi în România. Studiu de caz: Bucovina [Das Pressegesetz und die Zensur in der Habsburgermonarchie und Rumänien: Fallbeispiel Bukowina]. In: Andrei Corbea-Hoisie, Ion Lihaciu, Markus Winkler (Hgg.): Prolegomene la un dicţionar al presei de limba germană din Bucovina istorică [Studien zu einem Lexikon der deutschsprachigen Presse in der Bukowina (1848–1940)]. Iaşi 2012, S. 79-105