Zu der feierlichen Schlusssteinlegung in der Erzherzog Karlgasse (heute: vul Aksenina 6), hatten sich der Landespräsident Oktavian von Bleyleben, Bürgermeister Baron von Fürth, der Oberrabbiner Josef Rosenfeld und zahlreiche weitere Vertreter öffentlicher Einrichtungen und Vereine der Stadt und des Kronlandes im Gebäude eingefunden. Seit Mitte der 1890er-Jahre bestanden Pläne zum Bau eines Blindeninstituts in Czernowitz. Der sogenannte kleine Ausschuss der Bukowinaer Sparkasse hatte dafür bereits zum 50. Regierungsjubiläum des Kaisers eine Summe von 100.000 Gulden in Aussicht gestellte, diesen Betrag aber an Bedingungen geknüpft (Czernowitzer Presse, 1. November 1895, S. 2). 1897 wurde der Bedarf nach einer solchen Einrichtung mit der gestiegenen Zahl an blinden Menschen in der Bukowina begründet und der gr.-or. Religionsfonds aufgefordert, sich an der Finanzierung zu beteiligen, da laut einer statistischen Erfassung drei Viertel der Blinden der orthodoxen Kirche angehören würden (Bukowinaer Post, 9. Dezember 1897, S. 1). Allerdings wurden anschließend über mehrere Jahre hinweg kaum noch Anstrengungen unternommen, ein Blindeninstitut in Czernowitz zu errichten. Dies kritisierte die (Neue) Freie Lehrerzeitung in einem Beitrag 1906 massiv: „Denn während in fast allen Provinzen unseres Vaterlandes öffentliche und private Anstalten für die Blinden entstehen, Fürsorgevereine in jahrzehntelanger, wirkungsvoller Tätigkeit das Blindenwesen ausgestaltet haben, während man jetzt daran geht, durch Spezialkurse, Fachschulen, Arbeitshäuser und Blindenheime die Schulen der Nichtsehenden zu erweitern […], weiß man in der Bukowina noch nicht einmal die Zahl der vorhandenen Blinden“ ((Neue) Freie Lehrerzeitung, 1. Dezember 1906, S. 3). Kurz darauf nahmen die Pläne jedoch wieder an Fahrt auf. Der Großgrundbesitzer Hersch Weißglas stellte der Stadt kostenlos ein Grundstück zur Verfügung und der Bau konnte beginnen.

Das Institut bot Platz für 40 Kinder (je 20 Jungen und Mädchen). Anfangs gehörte zum Blindeninstitut auch eine Taubstummenabteilung, bis das Institut seine volle Klassenstärke erreicht hatte (Bukowinaer Post, 26.November 1908, S. 2). Aufzunehmende Schülerinnen und Schüler mussten verschiedene Dokumente vorweisen: Altersnachweis (Taufschein), Heimatschein, Impfschein, ein amtsärztliches Zeugnis über die Ursache, die Zeit und den Grad der Erblindung, evtl. Schulzeugnisse, „bei Ansuchen um einen ganzen oder halben Freiplatz ein legal ausgestelltes Zeugnis über die Armut (Mittellosigkeit) der Eltern oder des Kindes“ (Der Volksfreund, 13. Mai 1914, S. 3) u.a. Es wurden nur Kinder aufgenommen, die im Kronland Bukowina ihren Wohnort hatten und zwischen 7 und 12 Jahren alt waren.

Der Berichterstatter der Institutseinweihung vom 2. Dezember 1908 beschrieb in der Bukowinaer Post detailreich die Ausstattung und Aufteilung der neuen Einrichtung: „Das Gebäude umfaßt ein Tiefparterre und zwei Stockwerke. Im Tiefparterre befinden sich die Anstaltsküche mit dem Anrichtzimmer, die Wohnung der Köchin und es Küchenpersonals, Kesselraum für die Zentralheizungsanlage, Wohnzimmer für die Kesselwärter, Baderaum und Ankleidezimmer, Waschküche, Roll- und Bügelräume, Speisekammer, Kohlenraum, die Anstaltskellerräume und ein Keller für den Anstaltsleiter. […] Vom Vestibül gelangt man in das Parterre. Hier befinden sich links des Haupteinganges: Portierloge, Kanzlei mit Vorzimmer und die Leiterswohnung bestehend aus drei Wohnräumen; rechts des Eingangs befindet sich der Lehrmittelsammlungsraum, der Speisesaal mit Anrichtezimmer, die Wohnung für die Wirtschafterin und die Geschirrkammer. […] Im I. Stock befinden sich im Mittelrisalite je ein Musik-, Stimm- und Bibliothekszimmer. Links und rechts des Mittelrisalites sind die Lehrzimmer, zusammen 4, gegen den Hof gelegen. Im Hoftrakte liegen links die Krankenzimmer mit abgesondertem Klosett, Baderaum und ein Wohnzimmer für eine Lehrkraft. Rechts ein Arbeitsraum und die Wäsche-und Kleidergarderobe. Im zweiten Stockwerke sind die Schlafräume für ungefähr 20 Knaben und 20 Mädchen untergebracht, weiters der Festsaal und die Wohnräume für die Zöglinge. In den Wohnräumen bringen die Zöglinge die freie Zeit zu, erledigen hier ihre Schulaufgaben und die Mädchen werden hier mit Handarbeit beschäftigt. Für die Beförderung von Wäsche vom Souterrain, wo die Waschküche sich befindet, ist ein Aufzug angelegt“ (Bukowinaer Post, 3. Dezember 1908, S. 4).

Text: Markus Winkler

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    Ehemaliges Blindeninstitut (Erzherzog Karlgasse)

    Ehemaliges Blindeninstitut (Erzherzog Karlgasse)
    heute Internat Nr. 1 (wul. Aksenina 6). Foto: Markus Winkler (2017)