Eine weitere Veröffentlichung, die sich mit dem Phänomen der Masse auseinandersetzte – ein Thema, dem sich auch Elias Canetti zuwandte –, erschien 1938 unter dem Titel „Die Psychologie und Psychopathologie der Hysterie“ in Leipzig. In jenem Jahr publizierte er auch seine „mit feinem Verständnis für die Dichtung arbeitenden Untersuchung“ über die Arbeit Jakob Haringers (Zitat aus: Die Zeit, 28. Juni 1956). Der Titel der umfänglichen Untersuchungen lautete „Jakob Haringer: Eine psychopathologische Untersuchung über die Lyrik“ und erschien im Archiv für Psychiatrie (Nr. 107, 1938, S. 347-399). Hier konnte Flinker seine Expertise als Nervenarzt und Schriftsteller einbringen. Nach Auslandsaufenthalten in der Schweiz (Neurologische Klinik in Zürich) kehrte er 1940 nach Czernowitz zurück, wo er Chefarzt der Nervenheilanstalt wurde, das am damaligen Stadtrand lag, unweit des Bahnhof Volksgarten. Robert Flinker konnte dem Ghetto sowie den Deportationen 1941 und 1942 in Czernowitz entgehen und hielt sich versteckt. Ab 1944 war er Arzt am Bukarester Zentralkrankenhaus. Er beging am 15. Juli 1945 in Bukarest Selbstmord.

Robert Flinker schrieb Lyrik und Prosa, konnte aber zu Lebzeiten seine Romane und Erzählungen, die eine Nähe zu Kafka aufweisen, nicht veröffentlichen. Seine lyrischen Arbeiten wurde jedoch von Alfred Margul-Sperber geschätzt, der sechs seiner Gedichte in seine Ende der 1930er-Jahre geplanten Sammlung „Die Buche. Eine Anthologie deutschsprachiger Judendichtung aus der Bukowina“ aufnahm, die aber erst 2009 erscheinen konnte. Ende der 1960er-Jahre gab sein Bruder Ernst Maria Flinker in Bukarest zwei seiner Romane heraus: Fegefeuer (1968) und Der Sturz (1970). Im Aachener Rimbaud-Verlag sind beide Werke 2005 bzw. 2013 neu erschienen.

Text: Markus Winkler

Auszug aus seinem Roman „Der Sturz“ (zitiert nach www.rimbaud.de/bukowina.html#dersturz): „Aber daß ich hier sitze und mit Ihnen spreche, ist ein Wunder, ja vielleicht ist das sogar das größte von allen. Einmal gab es die Sterne, gab es Tag und Nacht, Sommer und Winter – und ich war nicht da und konnte sie nicht sehen. Dann Sommer und Winter – und ich war nicht da und konnte sie nicht sehen. Dann wurde ich, atmete, schlief und wachte, sah die Sonne und den Mond, fühlte Wärme und Kälte, wußte, was Liebe ist und Haß. Heute kann ich denken und träumen, kann Lust empfinden und Schmerz, kann sprechen oder schweigen. Und einmal wird das zu Ende sein, mein Körper wird noch da sein, doch ich werde nichts mehr wissen. Woher bin ich gekommen, wohin werde ich gehen? Niemand weiß es – es ist ein Wunder. Die Sterne aber werden weiter ihre Bahn gehen und die Sonne weiter in goldenem Licht erstrahlen. Wird auch das einmal ein Ende haben? Niemand weiß es, alles ist Wunder und Geheimnis.“

Werke von Robert Flinker:

  • Fegefeuer. Bukarest: Literaturverlag 1968 (Neuauflage Aachen: Rimbaud-Verlag 2005)
  • Der Sturz. Bukarest: Kriterion-Verlag 1970 (Neuauflage Aachen: Rimbaud-Verlag 2013)
  • Orte

    Orte

    Landesirrenanstalt, später Krankenhaus für Geistes- und Nervenkranke in Czernowitz

    Landesirrenanstalt, später Krankenhaus für Geistes- und Nervenkranke in Czernowitz
    Hier war Robert Flinker von 1932 bis 1936 als leitender Arzt und 1940/41 als Chefarzt tätig. Quelle: Quelle: Pharus-Plan Czernowitz von Leon König (um 1920, Ausschnitt)