Unter den Zugezogenen fanden sich sowohl adlige Großgrundbesitzer und Angehörige der städtischen Mittelschicht als auch Handwerker (Hausleitner, S. 99). Die Bedeutung der polnischen Minderheit stieg vor allem in der Landeshauptstadt Czernowitz und ihren Vorstädten rasant, da sich dort mehr als vierzig Prozent aller Bukowinaer Polen niederließen. Auch die ersten zwei Bürgermeister der seit 1864 autonomen Stadt waren polnischer Herkunft: der Armenopole Jakob von Petrowicz (1864-66) und der in Czernowitz aufgewachsene Pole Antoni Kochanowski (1866-74, 1887-1907). 1880 lebten in der Stadt bereits 6.707 Polen (15,03 % der Stadtbevölkerung), 1890 7.610 (14,34 %) und 1910 14.892 (17,42 %) (Feleszko, S. 132.) Nach Deutsch und Ruthenisch war Polnisch in Czernowitz Anfang des 20. Jahrhunderts die am dritthäufigsten gesprochene Sprache. Zwar erlangte es nicht den Status einer offiziellen Landessprache, dennoch wurde es seit 1870 an einigen Gymnasien und Realschulen als Wahlfach eingeführt (Feleszko, S. 132 und Hausleitner, S. 99.)

Zur Pflege der polnischen Sprache und Kultur gründete ein Kreis von Czernowitzer Polen um Aleksander Morgenbesser 1863 die sogenannte „Polnische Lesehalle“ (Czytelnia Polska), durch die unter anderem für polnische Handwerker und Haushaltsgehilfinnen sonntags Lesekurse organisiert wurden (Hausleitner, S. 100.). 1876 schufen 28 Studenten die polnische Burschenschaft Ognisko (Herd, hier im Sinne eines „geistigen Feuers“). Als Dachverband für alle polnischen Vereine existierte seit 1890 der „Bukowinerpolnische Kreis“ (Bukowinskie Koło Polskie). 1894 entstand der Turnverein Sokół („Falke“) und drei Jahre später die Handwerkergesellschaft Gwiazda („Stern“). Studenten gründeten außerdem eine Volksschulgesellschaft (Towarzystwo Szkoły Ludowej), die Geld für die privaten polnischen Grundschulen sammelte (Feleszko, S. 133 sowie: Hausleitner, S. 100).

Neben verschiedenen polnischen Monatsschriften war das wichtigste Presseorgan der polnischen Minderheit in der Bukowina die Gazeta Polska, deren erste Ausgabe am 30. Juli 1883 erschien und die über die Aktivitäten der Czytelnia Polska sowie anderer polnischer Vereine berichtete. Die Polen erwarben als erste der in Czernowitz lebenden Minderheiten 1886 ein eigenes Vereinshaus, das Dom Polski. Angesichts der Vielzahl der Vereine wurde dieses 1905 durch ein größeres und repräsentatives Vereinshaus in der Herrenstraße 40 ersetzt (Feleszko, S. 134 sowie Hausleitner, S. 100.). Das Dom Polski enthielt eine Bibliothek und zahlreiche Versammlungsräume, in denen regelmäßige Treffen der Vereine, Kurse zur polnischen Literatur und Sprache sowie Theater und Kunsthandwerk stattfanden. Auch wurden dort Bälle, Theatervorführungen und Feierlichkeiten anlässlich der Nationalfeiertage und zu den Jubiläen polnischer Persönlichkeiten, wie die Adam-Mickiewicz-Feiern, organisiert (Bukowinaer Post, Nr. 2001, 29.11.1906, S. 4.).

Nach 1919 emigrierten die meisten Bukowinaer Polen in den gerade neu gegründeten polnischen Staat. Die Zahl der polnischen Bevölkerung in Czernowitz sank um vierzig Prozent (Feleszko, S. 139). Die Mehrzahl der polnischen Organisationen und Verbände bestand jedoch fort. Neben dem Sportverein Polonia wurde 1924 auch ein polnischer Jugendverein gegründet, an den eine Theatergruppe angegliedert war, die polnischsprachige Theaterstücke in ganz Rumänien zur Aufführung brachte. Czernowitz war das Zentrum des polnischen Lebens in Rumänien und Sitz des 1932 gebildeten Verbandes der Polnischen Vereine in Rumänien (Feleszko, S. 140).

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zu groß angelegten Zwangsaussiedlungen und zur freiwilligen Auswanderung vieler in der Bukowina verbliebener Polen. Das polnische Vereinshaus mitsamt der Bibliothek wurde durch den Staat beschlagnahmt, der Polnischunterricht eingestellt und alle polnischen Vereine aufgelöst. 1959 gab es noch 1.280 Polen in Czernowitz, was 0,8 Prozent der Stadtbevölkerung entsprach. Zwar stieg die polnische Bevölkerung bis 1989 weiter kontinuierlich bis auf 2.205 an, relativ gesehen stagnierte ihre Zahl aber bei 0,8 Prozent (Feleszko, S. 143).

Im Jahr der Ausrufung der unabhängigen Ukraine 1991 zog mit der im Dezember 1989 gegründeten Adam-Mickiewicz-Gesellschaft der Polnischen Kultur (Towarzystwo Kultury Polskiej im. Adama Mickiewicza) wieder ein polnischer Verein sowie eine polnische Bibliothek in die Räume des Vorderhauses in der Olga-Kobyljanska-Straße 40 ein. Czernowitz ist damit heute eine von sechs ukrainischen Städten, in denen die Adam-Mickiewicz-Gesellschaft, die derzeit etwa 500 Vereinsmitglieder in der Ukraine zählt, einen festen Sitz hat (Interview de Autorin mit Władysław Strutyński am 11.05.2017 im Dom Polski). Bis heute erscheint die Gazeta Polska Bukowiny als Zeitung der polnischen Minderheit in der Bukowina jeden Monat neu (Feleszko, S. 135, sowie Interview).

Text: Tabea Schleinitz

Quellen:

  • Kazimierz Feleszko: Die Polen in Czernowitz. In: Harald Heppner (Hg.): Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt. Köln 2000, S. 129-144.
  • Mariana Hausleitner: Fünf verschiedene Vereinshäuser in Czernowitz und ihre Entwicklung bis 1914“. In: Peter Haslinger, Heidi Hein-Kirchner, Rudolf Jaworski (Hg.): Heimstätten der Nation. Ostmitteleuropäische Vereins- und Gesellschaftshäuser im transnationalen Vergleich. Marburg 2013, S. 89-111.
  • Interview der Autorin mit Władysław Strutyński am 11. Mai 2017 im Dom Polski
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    Dom Polski

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    Ehemalige Herrengasse 40, heute: Olga-Kobyljanska-Straße 40. Foto: Markus Winkler (2017)